Psychische Gesundheit im Auge des COVID-19-Hurrikans
Die COVID-19-Pandemie hat weltweit enorme Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden. Während der Pandemie besteht für Menschen ein höheres Risiko, direkt oder indirekt Verwirrung, Frustration, Angst und Furcht zu erleben1, manchmal verbunden mit einem Mangel an Zugang zu und Kontinuität der Versorgung und angemessener Unterstützung für bereits bestehende psychische oder körperliche Gesundheitsprobleme. Dies kann zur Entwicklung schädlicher Bewältigungsstrategien führen (wie Alkohol- oder Drogenmissbrauch, ungesunde Ernährungsmuster und Bewegungsmangel, selbstverletzendes Verhalten – einschließlich Selbstmord, Glücksspiel usw.). Angst und Fehl- oder Desinformation erhöhen auch das Risiko, dass ethnische oder religiöse Gruppen oder bestimmte Berufe zum Sündenbock gemacht und stigmatisiert werden.
Menschlicher Kontakt wurde durch Bildschirme ersetzt, deren vermehrte Nutzung negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden der Bevölkerung, insbesondere von Kindern und Jugendlichen, haben kann. Die Work-Life-Balance steht unter Druck. Frontline-Mitarbeiter und telearbeitende Eltern erleben jetzt, wie brüchig die Grenze zwischen Privat- und Berufsleben in diesen beispiellosen Zeiten sein kann.
Zwangshaft zu Hause erhöht auch die häusliche Gewalt gegen Menschen, die sich bereits in prekären Situationen befinden. Arbeitsplatzverluste und wirtschaftliche Unsicherheit ergänzen die Liste. Jetzt und nach der Krise haben sie (werden) einen massiven Tribut an die psychische Gesundheit der Menschen, mit einer tiefgreifenderen Manifestation bei niedrigeren sozioökonomischen Gruppen. Es ist in der Tat deutlich geworden, dass nicht jeder diese Auswirkungen gleichermaßen erfährt und dass einige in unseren Gesellschaften und Gemeinschaften mehr zurückgelassen werden als andere.2
Angesichts der aktuellen Turbulenzen, mit denen unsere Bevölkerungen konfrontiert sind, ermutigen wir nationale, europäische und internationale Entscheidungsträger, die folgenden Aspekte während und nach der Krise zu berücksichtigen:
1. Integrieren Sie Fragen der psychischen Gesundheit in alle Krisenreaktionsaktivitäten
Die psychische Gesundheit sollte ein integraler Bestandteil jeder Reaktion des öffentlichen Gesundheitswesens auf die aktuellen und zukünftigen Pandemien sein, um weitgehend vermeidbare psychosoziale Belastungen für Einzelpersonen und Gemeinschaften zu vermeiden, insbesondere angesichts des Zustands der gestörten und geschwächten Gesundheits- und Sozialfürsorgesysteme. „Das Verständnis und die Auseinandersetzung mit psychischen und psychosozialen Überlegungen wird der Schlüssel sein, um die Übertragung von (COVID-19) zu stoppen und das Risiko langfristiger Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Fähigkeit der Bevölkerung, mit Widrigkeiten fertig zu werden, zu verhindern.“3 Da die Risiken psychischer Erkrankungen wahrscheinlich zunehmen werden, sollten die Prävention psychischer Gesundheitsprobleme, frühzeitiges Eingreifen und der Zugang zu angemessener Unterstützung ein wesentlicher Bestandteil jedes Eindämmungs- und Wiederherstellungsplans nach einer Pandemie sein. Die Folgen der aktuellen Umstände wie erzwungener Heimunterricht, Unter- und Arbeitslosigkeit, Geschäftsschließungen usw. bergen das Risiko einer weiteren Vertiefung sozialer und gesundheitlicher Ungleichheiten zwischen und innerhalb der Mitgliedstaaten. Maßnahmen zu deren Bekämpfung oder bestenfalls Reduzierung sind daher ebenfalls von entscheidender Bedeutung, ebenso wie ihre Auswirkungen auf die psychische Gesundheit.
2. Effizient kommunizieren und gleichzeitig Panik und Angst eindämmen
Fehl- oder Desinformationen führen zu zunehmenden Ängsten und Panik in der Bevölkerung. Für die Behörden ist es von entscheidender Bedeutung, effizient über die Risiken und neuesten Entwicklungen im Zusammenhang mit COVID-19 zu kommunizieren, einschließlich Dekonfinierungsmaßnahmen (oder Ausstiegsstrategien). Die übermittelten Informationen sollten klar, verständlich, prägnant und genau sein. Damit die Kommunikation effizient ist, sollte sie auf bestimmte Zielgruppen zugeschnitten sein, die über unterschiedliche Gesundheits- und Digitalkompetenzen verfügen können – letzteres wird besonders deutlich, da heutzutage große Mengen an Gesundheitsinformationen digital übermittelt werden. Es sollte positive Botschaften zur psychischen Gesundheit enthalten, die das psychosoziale Wohlbefinden fördern, indem es sich beispielsweise auf die vielen positiven Gemeinschaftsinitiativen konzentriert, die in unseren Gesellschaften gedeihen. Darüber hinaus sollten die Bevölkerungen darüber informiert werden, auf welche vertrauenswürdigen Quellen sie sich beziehen sollten, um Informationen im Zusammenhang mit der Pandemie zu finden. Selbstfürsorgestrategien sollten ebenfalls gefördert werden, um Einzelpersonen zu befähigen, die Auswirkungen dieser Umstände zu begrenzen, ohne ihr geistiges Wohlbefinden zu beeinträchtigen.4
3. Schutz der psychischen Gesundheit von Mitarbeitern an vorderster Front.
Mitarbeiter an vorderster Front und medizinisches Personal sind derzeit mit beispiellosen harten Arbeitsbedingungen konfrontiert, die besondere Aufmerksamkeit für ihre psychische Gesundheit und ihr Wohlbefinden erfordern. Dies muss durch ein angemessenes Risikomanagement angegangen und unterstützt werden, wobei für ausreichende Personalausstattung, Ermutigung, Kommunikation und Unterstützung zu sorgen ist. Der Zugang zu psychosozialen Diensten soll verbessert und unter Berücksichtigung von Schicht und Arbeitszeit ermöglicht werden.
Darüber hinaus ist es notwendig, die Arbeitsbedingungen für Mitarbeiter und Arbeiter an vorderster Front zu verbessern, z. B. durch Begrenzung der Stundenzahl, wo dies möglich ist, um nicht nur das Infektionsrisiko zu verringern, sondern auch eine ausgewogene Work-Life-Balance zu gewährleisten und so Ruhe und Erholung zu ermöglichen. Die Gewährleistung der Verfügbarkeit und Verwendung angemessener persönlicher Schutzausrüstung ist wichtig für das körperliche und geistige Wohlbefinden, da sie ein stärkeres Sicherheitsgefühl vermittelt.
Ein weiteres Element, das Mitarbeiter an vorderster Front stark betrifft, ist die Stigmatisierung. Als Überträger der Krankheit werden sie häufig aufgrund ihres Berufs diskriminiert. Die Stigmatisierung muss angegangen, die Arbeitnehmer geschützt und das Bewusstsein für die Schlüsselrolle geschärft werden, die sie bei der Überwindung des Ausbruchs spielen.
4. Anerkennung der Rolle informeller Pflegepersonen und Bereitstellung angemessener Unterstützung, Beratung und Schulung.
Viele informelle Betreuer5 – als Hauptversorger von Menschen mit chronischen Erkrankungen oder Angehörige der am stärksten gefährdeten Altersgruppe – befinden sich heute in einer besonders prekären Situation, ohne angemessene Unterstützung oder Schutzausrüstung ihre eigene Gesundheit gefährden, indem sie sich weiterhin um sie kümmern. Diese Situation verschärft die bereits bestehenden Risiken für die physische und psychische Gesundheit informeller Pflegepersonen.
Darüber hinaus verschärfen die Ausgangsbeschränkungen sowie die Depriorisierung nicht wesentlicher Behandlungen ihre Belastung und Isolation. Während sie in vielen Fällen als letztes Rettungsnetz für die von ihnen betreute Person dienen, ist das Risiko, krank zu werden und daher die Kontinuität der Pflege nicht gewährleisten zu können, auch für sie ein erheblicher Stressfaktor.
5. Risiken in Arbeitsorganisationen bewerten und managen
Der Weg zur Erholung nach dem durch die Pandemie verursachten finanziellen Abschwung wird wahrscheinlich zu einer höheren Arbeitsbelastung mit weniger Ressourcen in vielen der finanziell angeschlagenen Unternehmen führen. Die richtige Bewertung und Handhabung von Gesundheits- und Sicherheitsrisiken am Arbeitsplatz, insbesondere psychosoziale Risiken, ist von entscheidender Bedeutung. Dies gilt insbesondere für Arbeitnehmer, die sich bereits in einer schwierigen psychischen Situation befinden. Die Sozialpartner haben die Verantwortung, die Herausforderungen im Bereich Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz nach der Pandemie unter besonderer Berücksichtigung der psychosozialen Risiken gemeinsam anzugehen.
6. Gewährleistung des rechtzeitigen Zugangs und der Kontinuität der Behandlung und Versorgung für alle, die sie während und nach der Pandemie benötigen
Die Pandemie stört die Unterstützung und Dienste der psychischen Gesundheit. Darüber hinaus können sich die beispiellose Situation und die dadurch verursachte Not negativ auf die psychische Gesundheit auswirken und „zu langfristigen negativen Folgen in Gemeinschaften, Familien“ und Einzelpersonen führen.6 Der Zugang zu Pflege und Unterstützung für Menschen mit psychischen Erkrankungen und Problemen mit Drogenmissbrauch sollte sichergestellt werden. Es sollten sektorenübergreifende Überweisungswege eingerichtet werden, um sicherzustellen, dass Kinder und Familien mit anderen Anliegen (z. B. Schutz vor häuslicher Gewalt, Überlebensbedürfnissen usw.) oder schwerwiegenderen Notlagen unverzüglich auf die erforderlichen Dienste zugreifen können.7 Wenn Therapie- und Beratungssitzungen physisch nicht möglich sind, sollte eine Online-Therapie oder per Telefon zur Verfügung gestellt werden, um die Behandlungen fortzusetzen.
Es sollten Lehren gezogen werden, um den Zugang nach der Pandemie, aber auch für zukünftige Krisen zu gewährleisten. Bereitschaftsstrategien sollten zum Beispiel die Schulung von Mitarbeitern an vorderster Front zu wesentlichen psychosozialen Unterstützungsprinzipien, psychologischer Erster Hilfe und wie man bei Bedarf Überweisungen durchführt. Die Stärkung der Primärversorgung, das Setzen auf die Förderung der psychischen Gesundheit und die Prävention psychischer Störungen sowie die Förderung einer stärker integrierten und gemeinschaftsbasierten Versorgung sind einige der Maßnahmen, die die psychischen Gesundheitssysteme für die Zukunft widerstandsfähiger machen würden.
7. Schutz der psychischen Gesundheit von Menschen in prekären Situationen, einschließlich älterer Menschen.
Die Pandemie hat eindeutig negative Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden von Menschen in prekäreren Situationen, einschließlich älterer Generationen. Sozial und wirtschaftlich Benachteiligte sind einerseits einem höheren Risiko ausgesetzt, als Folge von Lockdown-Maßnahmen oder deren wirtschaftlichen Auswirkungen von psychischen Erkrankungen betroffen zu sein. Andererseits steht die psychische Gesundheit von Risikogruppen wie älteren Menschen, Kindern und Frauen stärker unter Druck.
Die Pandemie hat die Regierungen dazu veranlasst, strenge Ausgangsbeschränkungen zu ergreifen, die oft einige grundlegende Menschenrechte und die persönliche Freiheit einschränken. Die Tatsache, dass ältere Menschen und Menschen mit Grunderkrankungen einem höheren Risiko ausgesetzt sind, sollte keine diskriminierende und unverhältnismäßige Behandlung rechtfertigen. Alle sollen die gleichen Rechte haben. Dennoch ist der Zugang zur Pflege manchmal aufgrund des Alters eingeschränkt. Darüber hinaus respektieren Maßnahmen, die innerhalb von Institutionen und Gemeinschaften in Bezug auf pflegebedürftige Personen ergriffen werden, nicht immer die Autonomie und Würde der Menschen. Darüber hinaus sind die Nachrichten rund um COVID-19 gegenüber älteren Menschen oft stigmatisierend.8
Darüber hinaus besteht die eindeutige Gefahr, dass soziale Distanzierung in Isolation umschlägt, insbesondere für Menschen, die keinen Zugang zu Technologie haben oder digitale Analphabeten sind. Eine zentrale Priorität ist daher aus unserer Sicht die Sicherstellung des psychischen Wohlergehens der Gefährdeten. Die Befähigung und Ermutigung älterer Erwachsener mit Erfahrung und Stärken, sich freiwillig an gemeinnützigen Bemühungen zu beteiligen – die das individuelle Infektionsrisiko nicht erhöhen – um die Pandemie zu bekämpfen, kann sich beispielsweise sowohl auf den Einzelnen als auch auf seine Gemeinschaften positiv auswirken. Ihre Zusammenarbeit kann wertvoll sein.
Kinder sollten nicht vergessen werden. Sie sind weniger von der Krankheit selbst betroffen, sehen ihren Zugang zu angemessener Gesundheitsversorgung und Bildung eingeschränkt und sind auch einem höheren Risiko ausgesetzt, die negativen Auswirkungen von Isolation und zunehmender häuslicher Gewalt zu erleben. Kinder sollten im Mittelpunkt der Krisendeeskalationsmaßnahmen und der Wiederaufbaustrategie der EU stehen. Unterstützungssysteme für diese Gruppe (und ihre Eltern) sind derzeit unerlässlich und sollten ausgebaut werden (zB Beratungs- und Beratungsstellen, Telefontelefone etc.).9 In gleicher Weise sollten Frauen, die derselben Gewalt ausgesetzt sind, sowie ältere Menschen, die unter Gewalt gegen ältere Menschen leiden – isolierter und durch die Haft stärker gefährdet – ebenfalls von dieser Unterstützung profitieren.
8. Verfolgen Sie einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz für die psychische Gesundheit
Maßnahmen können nur dann erfolgreich sein, wenn sie einen „gesamtgesellschaftlichen“ Ansatz verfolgen, alle Sektoren einbeziehen und Programme für psychische Gesundheit, Gesundheitsfürsorge, Sozialfürsorge und Wohlfahrt, Bildungseinrichtungen sowie lokale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen zur Rechenschaft ziehen. Eine Pandemie stellt eine enorme Belastung für unsere (psychischen) Gesundheitssysteme und Volkswirtschaften dar, stellt aber auch eine Chance dar, bestehende Stigmata bezüglich psychischer Gesundheit abzubauen und Angebote für Menschen in kritischen Situationen zu erweitern. So kann psychische Gesundheit in jeder nationalen und auch europäischen Politik einen angemessenen Stellenwert erhalten. Um diese Bedeutung zu erreichen, sollte die psychische Gesundheit ein integraler Bestandteil des aktualisierten Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission sein.
Die unten genannten Organisationen sind bereit, Beiträge zu leisten und bei künftigen Überlegungen auf europäischer Ebene in Bezug auf die psychische Gesundheit in Zeiten einer Pandemie mitzuarbeiten, und fordern die Kommission auf, diese Überlegungen so bald wie möglich einzuleiten.
Organisationen
AEIP
AGE-Plattform
Zielvorstellung
CPME
EPHA
EPR
EUROCADRES
EuroCarer
EuroHealthNet
Gambisches Europa
Mental Health Europe
Ressourcen
- Das Netzwerk für psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützung
- Was uns COVID-19 über Ungleichheit und die Nachhaltigkeit unserer Gesundheitssysteme lehrt.
- Beispielsweise sollten Überlegungen zur psychischen Gesundheit berücksichtigt werden, wenn die Ausgangsbeschränkungen von der Bevölkerung ordnungsgemäß befolgt werden sollen oder um die Gesundheit der Mitarbeiter an vorderster Front zu erhalten und sich im Kampf gegen COVID-19 zu engagieren. https://interagencystandingcommittee.org/system/files/2020-03/MHPSS%20COVID19%20Briefing%20Note%202%20March%202020-English.pdf
- Siehe die WHO-Website zu COVID-19 und psychischer Gesundheit
- Eurocarers definiert eine Pflegekraft als eine Person, die – in der Regel – unbezahlte Pflege für jemanden mit einer chronischen Krankheit, Behinderung oder einem anderen lang anhaltenden Gesundheits- oder Pflegebedarf außerhalb eines beruflichen oder formellen Rahmens leistet.
- https://www.mhe-sme.org/wp-content/uploads/2020/04/MHE-Statement-COVID-19.pdf
- https://interagencystandingcommittee.org/system/files/2020- 03/MHPSS%20COVID19%20Briefing%20Note%202%20March%202020-English.pdf
- https://www.age-platform.eu/policy-work/news/covid-19-older-persons%E2%80%99-rights-must-be-equally-protected- during-pandemic
- http://www.alliance4investinginchildren.eu/joint-statement-on-protecting-children-and-their-families-during-and-after- the-covid19-crisis